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Notstand bei Kita- & Krippen-Plätzen: Henry muss warten …


Text: Helena Eichmann, Fotos Jana Kay

„Du fehlst uns“ – mit diesem Slogan wirbt die Stadt Mainz um neue Erzieher. Und auch an Kita-Plätzen mangelt es. Warum Johanna Glück hatte und Henry noch warten muss …

Wenn sich Paare heute für ein Kind entscheiden, stellen sie sich meist folgende Fragen: Wie lange bleibt Frau zuhause? Nimmt Mann Elternzeit? Und (wo) finden wir einen Platz für unseren Sprössling? Der Bedarf an Kinderbetreuungs-Einrichtungen in Mainz, besonders für unter Zweijährige, ist sehr hoch. Die Gründe dafür sind vielfältig: Viele Eltern möchten von ihrem Rechtsanspruch für Zweijährige auf einen beitragsfreien Kindergartenplatz Gebrauch machen, der seit dem 1. August 2010 in Rheinland-Pfalz besteht. Denn oft können es sich Paare nicht leisten, nur von einem Einkommen zu leben. Und viele Mütter möchten noch etwas anderes tun, als rund um die Uhr Mama zu sein.

Privat oder öffentlich?

Im September letzten Jahres lebten laut Statistik in Mainz 7.249 Kinder mit Anspruch auf einen Kita-Platz. Jedoch sind nicht immer genügend Kapazitäten in den einzelnen Stadtteilen vorhanden, sodass einige Kinder leer ausgehen. In den Vororten ist die Situation meist entspannter. Derzeit gibt es in Mainz 109 Kindertagesstätten mit insgesamt 6.160 Plätzen. Davon sind 1.113 für Zweijährige vorgesehen. Möchten Eltern ihr Kind in einer privaten Tagespflege unterbringen, steuert die Stadt Mainz einen Zuschuss in Höhe des Krippenbeitrags bei. Doch nicht alle greifen freiwillig auf eine private Einrichtung zurück. Als das städtische Jugendamt einer Mainzer Mutter für ihre Tochter keinen Kita-Platz zur Verfügung stellen konnte, musste sie die Kleine in einer privaten Einrichtung unterbringen. Das Geld dafür verlangte die Mutter von der Stadt zurück und klagte erfolgreich im Mai dieses Jahres beim Verwaltungsgericht Mainz. Das OVG Rheinland-Pfalz in Koblenz hat nun das Urteil der Mainzer Richter in der Berufungsinstanz bestätigt, wegen der grundsätzlichen Bedeutung aber die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. Silke und ihr Mann Thorsten aus Gonsenheim meldeten ihre Tochter Johanna für ein Jahr in der privaten Krippe „Villa Josefus e.V.“ an, da sie keinen Platz in einer städtischen Krippe bekamen. Ihr älterer Sohn Tim ging zu der Zeit in die integrative Kita des Vereins für Körper- und Mehrfachbehinderte in Bretzenheim, eine Einrichtung, die auch nichtbehinderte Kinder besuchen können. „Wir hatten großes Glück“, erzählt Mutter Silke. Als Tim in die Schule kam, nahm Johanna den Platz ihres Bruders ein. Doch selbst wenn man einen der begehrten Plätze ergattert, kann es zu Problemen kommen. Viele Familien bemängeln die unzureichenden Öffnungszeiten. Die städtischen Kitas gewährleisten eine durchgehende Betreuung von 7 bis 17 Uhr. Manche der Privaten schließen jedoch teilweise um 16 Uhr und in der Tagespflege sieht es oft ähnlich aus. Gar nicht so einfach. Die 38-jährige Mutter Silke arbeitet als Anästhesistin in einem Bad Kreuznacher Krankenhaus. Durch den Schichtdienst muss sie oft schon aus dem Haus, bevor ihr Mann Thorsten von der Arbeit zurück ist. Da sie nicht dauernd auf die Großeltern zurückgreifen wollten, entschieden sich die Eltern für ein Jahr ein Au-pair- Mädchen zu engagieren. „Es läuft sehr gut, und die Kinder kommen super klar“, weiß Thorsten.

Anmelden, warten, vorrücken …

Jede Familie hat ein unterschiedliches Modell und unterschiedliche Erfahrungen. Den Antrag zur Anmeldung in einer städtischen Einrichtung können Eltern beim Amt für Jugend und Familie abgeben oder in der jeweiligen Einrichtung ihres Stadtteils. Bei den privaten und kirchlichen Einrichtungen meldet man sich direkt an. Viele Eltern, die ihren Antrag bei der Stadt Mainz einreichen, kritisieren, dass sie keine Eingangsbestätigung oder klare Informationen, teilweise nicht einmal eine schriftliche Absage erhalten. Julia Schulz und ihr Freund Dennis Krämer suchen einen Krippenplatz für ihr acht Monate altes Baby Henry. Julia ist Krankenschwester in der Universitätsmedizin und wollte eigentlich ab September wieder arbeiten gehen. Als Henry zwei Monate alt war, schickten die Eltern die Anmeldung u.a. für die Kinderkrippe Zahlbach ab. Dann kam die Absage: vor September 2013 keine Aufnahme. „Wir standen auf Platz 35. Mittlerweile sind wir auf Platz sieben vorgerückt, jedoch ohne Einberechnung der Geschwisterkinder“, erklärt die Mutter. Ein schwacher Trost. Auf der Homepage der Stadt Mainz suchten sie über eine Tagespflegebörse vergeblich nach einer Pflegeperson. „Die Stellen sind zu 90 Prozent nicht mehr aktuell“, erzählt Julia. Ab November geht die 31-Jährige nun nur am Wochenende arbeiten. Dann ist der Papa für die Betreuung zuständig. Ab Februar möchte die Krankenschwester wieder auf Teilzeit aufstocken und hofft, den Sprössling bis dahin untergebracht zu haben.

Neue Plätze geplant

Um ein größeres Angebot zu schaffen, sind 828 neue Kindergartenplätze bis 2014 geplant. Davon sind 114 Plätze in diesem Jahr bereits eingerichtet worden. Bis 2016 sollen 230 Vollzeitstellen (was 270 Mitarbeitern entspricht) geschaffen werden. Gute Aussichten auf einen Job für alle, die sich für diesen Beruf entscheiden. Christoph Nilges ist einer der wenigen Männer, die eine Ausbildung zum Erzieher machen: „Die Arbeit muss einem Spaß machen. Reich wird man davon nicht.“ 2.160,30 Euro beträgt das Anfangsgehalt eines staatlich anerkannten Erziehers. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass es um die Erziehung unseres Nachwuchses geht. Die Ausbildung dauert in Vollzeit 3 Jahre, davon 2 Jahre Schule (unbezahlt) und 1 Jahr Berufspraktikum (Verdienst zwischen 500 Euro und 1.100 Euro netto). „Es ist schade, dass der Beruf des Erziehers der Gesellschaft nicht mehr wert ist und den Leuten nicht attraktiver gemacht wird“, so Nilges. Trotzdem würde sich Gudrun Kandt, Leiterin der Kita Wolkenburg in Ebersheim, wieder für ihren Beruf entscheiden: „Die Arbeit ist sehr vielseitig. Man arbeitet mit vielen Gruppen zusammen, kann kreativ sein und ist eine wichtige Bezugsperson für die Kinder.“ Daneben sind die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sehr gut, um beispielsweise die Leitung einer Kita zu übernehmen. Muss man bestimmte Kriterien erfüllen, um einen Kita-Platz zu ergattern? Sicher, Alleinerziehende bekommen eher einen Platz zugewiesen. Pfarrer Stephan Müller-Kracht vom evangelischen Dekanat Mainz weiß: „Bei Wartelisten gilt das Alter und die Geschwisterregel oder zum Beispiel 50 Prozent christliche Kinder zu nehmen.“ Clemens Frenzel-Göth, Leiter für den Bereich Kinder, Jugendliche und Familien des Caritasverbandes für die Diözese Mainz erklärt: „Wir wollen weltoffen sein. Eine Werteorientierung ist sehr wichtig.“ Grundsätzlich ist es aber nicht erforderlich, der evangelischen oder katholischen Konfession anzugehören. Schon mit sechs Wochen meldeten Simone und Stefan Harth ihre heute elfmonatige Tochter Jara im Stadtteil Hechtsheim für einen Platz an. Da Vater Stefan beruflich oft Projekte im Ausland betreut, muss sich die 29-Jährige Mutter unter der Woche alleine um die gemeinsame Tochter kümmern. Auch sie hofft, nach ihrer Elternzeit einen Platz für ihr Kind zu finden und wieder arbeiten gehen zu können. Nach all diesen Berichten kann man gut nachvollziehen, dass immer mehr Paare die Familienplanung nach hinten schieben. Das Durchschnittsalter von Frauen, die ihr erstes Kind zur Welt bringen, beträgt heute 29 Jahre. Viele von ihnen haben ein Studium absolviert und möchten nicht allzu lange aus dem Job sein. Doch bei der derzeitigen Situation ist das gar nicht so einfach, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen …