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Quer durchs Dach geschossen: vom Leben als Kranfahrer


von Sophia Weis
Fotos Michael Grein

Spätestens halb sieben Uhr morgens klingelt bei Yuriy Ligay der Wecker, denn eine Stunde später muss er im Betrieb sein. Seit fünf Jahren ist er Mitarbeiter beim Kranservice Hellmich in Riedstadt und bedient mobile Kräne mit einem Gewicht von bis zu 250 Tonnen. Der gebürtige Kasache ist nur 1,65 Meter groß, aber in seiner Krankabine hat er alles im Griff. Von hier fährt er den 70 Meter langen Teleskopausleger aus, hebt Bauteile zentimetergenau an ihren vorgesehenen Platz und hupt auch mal beherzt, wenn einer der Auf- und Abbauhelfer nicht aufpasst.

Jeden Tag an einem anderen Ort
Als Kranfahrer muss man flexibel sein. Wo sein nächster Einsatz stattfindet, erfährt Yuriy erst am Vorabend auf dem Dispositionsplan in der Firma. Gerade jetzt, in der warmen Jahreszeit, gibt es im Rhein-Main-Gebiet jeden Tag etwas zu tun und so ist er viel unterwegs. Manchmal geht es für Yuriy auch weiter weg, denn die mobilen Riesen werden für Aufträge in ganz Deutschland eingesetzt. Dann heißt es mitten in der Nacht aufstehen und mit schwerem Gefährt bei maximal 80 Kilometern pro Stunde durch die Republik fahren. Bis nach Bayern hat es ihn beruflich schon geführt, aber gesehen hat er vom größten deutschen Bundesland nur wenig. „Viel Arbeit und keine Zeit“, erklärt der 33-Jährige. „Aber es macht Spaß, jeden Tag etwas anderes zu sehen und nicht immer auf derselben Baustelle zu sein, wie in einem großen Baukran“, fügt er hinzu. Außerdem habe er ein bisschen Höhenangst und bevorzuge deshalb Autokräne, gibt Yuriy zu und grinst verschmitzt, wobei ein Goldzahn aus seinem Mund blitzt.
Während eines Einsatzes an einem Mainzer Hotel müssen Lüftungsschläuche ausgewechselt werden. Kein besonders aufregender Tag für das Team, aber die Stimmung ist entspannt und freundschaftlich. Vor allem der Auf- und Abbau des Krans fordert Geduld und Konzentration von den Mitarbeitern. Insgesamt dauern die Vor- und Nachbereitungen genauso lange wie die eigentliche Reparatur am Hotel. „Dass jeder weiß, wo er stehen muss, ist wichtig für einen reibungslosen Ablauf“, sagt Yuriy, während er eine tonnenschwere Kranballastplatte auf den LKW zusteuert, die von den Helfern mit einem lauten „Ablassen!“ in Empfang genommen wird. Nach getaner Arbeit ist es für die Männer im Blaumann Zeit für eine gemeinsame Zigarette und ein paar Witze, bei denen jeder mal sein Fett weg bekommt.

Aller Anfang ist schwer
Yuriy Ligay erzählt, wie er vor knapp zehn Jahren nach Deutschland kam, zusammen mit seiner Frau. Kennengelernt haben sich die beiden in der Schule in Kasachstan, schon mit 19 wurde geheiratet und kurz darauf kam die erste von zwei Töchtern zur Welt. Nach ein paar Jahren Selbstständigkeit beschloss die junge Familie, die Heimat zu verlassen und Verwandten in Deutschland hinterherzuziehen. Anfangs war es schwer für sie, besonders wegen der Sprachbarriere. Aber Yuriy lernte fleißig, fand zunächst einen Übergangsjob als LKW-Fahrer und hörte irgendwann über einen Freund von einer freien Stelle beim Kranservice. Hier fühlt er sich wohl und findet es toll, verschiedene Kräne bedienen zu können. Das zu lernen war harte Arbeit und besonders in den ersten sechs Monaten, in denen er immer wieder Schulungen hatte, stieß Yuriy oft an seine Grenzen. „Den Kran zu verstehen, ist nicht leicht“, sagt er, und das klingt fast, als rede er von einem Freund. „Ich nehme mir beim Arbeiten Zeit und lasse mich nicht aus der Ruhe bringen. Sonst kann es gefährlich werden.“ Jedes Jahr muss Yuriy ein Sicherheitstraining absolvieren und auch das technische Know-how wird in regelmäßigen Abständen in Lehrgängen aufgefrischt, denn schließlich kommen ständig neue Modelle auf den Markt.

Große Pläne
Kraftfahrzeuge sind Yuriys Leidenschaft und Kräne haben ihn schon immer fasziniert. Er träumt davon, sich irgendwann sein eigenes Unternehmen aufzubauen und es so auch in Deutschland mit der Selbstständigkeit zu schaffen. Dass das hierzulande nicht so einfach ist wie in seiner Heimat Kasachstan, hat er schon gemerkt. Die vielen Behördengänge und der Papierkram sind im Moment kompliziert für ihn. „Dafür muss ich noch besser Deutsch lernen“, lacht Yuriy. Den rheinhessischen Dialekt beherrscht er jedenfalls schon ganz gut und bis es so weit ist, genießt er die Zeit als Angestellter. Trotz Wirtschaftskrise musste sein Chef in den letzten Jahren keine Mitarbeiter entlassen, im Gegenteil, das Geschäft boomt. Falls Yuriy also eines Tages seinen Traum von der eigenen Firma verwirklichen will, hat er sich nicht die schlechteste Branche dafür ausgesucht.