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So wohnt Mainz: Nah am Wasser



von Ejo Eckerle
Fotos: Daniel Rettig

Mannis Bauwagen: Im Rücken das Zementwerk und den Rhein vor Augen Langsam schiebt sich von links nach rechts ein schwarzer Riese ins Bild. Wenn Manni aus dem Fenster schaut, ist das für ihn ein vertrauter Anblick. Der schwarze Riese, ein Rhein-Frachtschiff, ist nach wenigen Sekunden wieder aus seinem Blickfeld verschwunden. Dann ist er wieder allein in der knapp sechs Quadratmeter kleinen Behausung. Häufig bemerkt er ein an- und abschwellendes Rauschen hinter seinem Rücken. Der Durchgangsverkehr der vielbefahrenen Wormser Straße und die Züge der Eisenbahnstrecke von und nach Mannheim sorgen für einen steten Geräuschpegel und falls mal wieder der Wind pfeift, knattert eine australische Fahne vor der Eingangstür. Zu Mannis Behausung gehört auch ein Vorzelt, seine Küche. Das ist ein luftiges Plätzchen. In einer Ecke stapeln sich Aluminiumkochtöpfe wie russische Matrjoschka-Püppchen ineinander, daneben ein zweiflammiger Gasherd mit zwei Kochplatten, ein Kühlschrank, Thermoskanne mit 05er-Emblem, es fehlt an nichts. Seiner glühenden Verbundenheit zum Mainzer Bundesligisten verleiht Manni vielfältig Ausdruck. Eine Vereinsfahne ziert den Zaun zu seinem Grundstück, für die Vierbeiner gibt‘s dekorative 05er-Mützchen und auch im Wohnwageninnern findet sich noch Platz für einen Wimpel. Für die persönliche Hygiene sorgt eine Campingtoilette vor der Tür. Zum Duschen und Wäsche waschen fährt Manni mit dem Fahrrad zur Pfarrer-Landvogt-Hilfe in die Dagobertstraße.

Leben ohne Luxus

Dort, wo Mainz ausfranst und das wuchtige Zementwerk Autofahrer erschreckt, direkt am Rhein, residiert der 49-Jährige seit April 2011. Ein ehemaliger Bauwagen mit grünem Wellblechkleid ist sein Zuhause. Ein Flachbildfernseher und ein Gasöfchen, viel mehr Luxus bietet das Heim auf Rädern nicht. Und ganz allein ist Manni auch nicht. Er teilt sich die Unterkunft mit seinen beiden Hunden Lissy und Lucky, was Ordnung und Sauberkeit halten nicht gerade einfacher macht.
Für Manni ist das kleine Heim schon seine dritte Wohnung in Mainz. Vor mehr als vier Jahren strandete er in der Domstadt. Zunächst zog es ihn in eine Wingerthütte: „Das war meine schönste Unterkunft“, sagt er rückblickend. Später ließ er sich mit Zelt, Fahrrad und Anhänger am Winterhafen nieder, bevor ihn die Bauarbeiten für das dort entstehende
neue Luxus-Wohnquartier vertrieben.

Traum von Einsamkeit

Als Manni das erste Mal in seinem Leben loszog, war einiges schief gelaufen. Bis er zehn Jahre alt war, lebte er mit seinen Eltern in Australien. Dann entschieden die: zurück nach Deutschland in die alte Heimat. „Ich verstand damals weder ein Wort Deutsch, noch konnte ich die Sprache“, sagt er und erfuhr, was es heißt, Außenseiter zu sein. Zunächst jobbte er sich durchs Leben, bis er irgendwann die Chance erhielt, eine Ausbildung zum Bauschlosser zu machen. Wann und wieso das alles geschehen ist, wo genau die Abzweigungen im Laufe seiner Biografie eintrafen, ist schwer aus ihm herauszukriegen. Manni redet nur das Nötigste. Hinter seinem mächtigen Rasputin-Bart scheint sich ein hochsensibler Charakter zu verstecken, aber auch ein Mann, den die Zeit auf der Straße gelehrt hat, vorsichtig zu sein in dem, was er von sich preisgibt. Mannis Traum vom Glück ist die Einsamkeit, allenfalls begleitet von seinen treuen Hunden. Es gab durchaus ernst gemeinte Versuche, sich in einer bürgerlichen Existenz einzurichten. Ein Job als LKW-Fahrer brachte ihm Geld und ihn durch ganz Europa. Die Gelegenheit war günstig: Das ständige auf Achse sein machte eine Wohnung überflüssig. „Ich komme in einer Wohnung einfach nicht klar“, lautet seine knappe Auskunft, wenn man ihn danach fragt, was eine bürgerliche Behausung für ihn so abschreckend macht.
Als er sich von seiner letzten festen Adresse auf Wanderschaft begab, zog es ihn nach Süden. Sein Hab und Gut verstaute er in einem Anhänger, mit dem Fahrrad ging es voran. Jetzt ist er in Mainz. Wie lange noch? „Ich habe erst vor kurzem erfahren, dass ich eine neun Jahre alte Tochter habe. Das Mädchen lebt bei seiner Mutter in Hannover.“ Die unverhoffte Vaterschaft hat in ihm so etwas wie einen Impuls zur Sesshaftigkeit ausgelöst. Jedenfalls redet er plötzlich davon, in Hannover einen Garten zu mieten, wo er ein Wohnmobil hinstellen kann. Eine feste Arbeitsstelle will er sich auch suchen … Fast scheint es so, als sei die bürgerliche Welt dabei, den Mann der Straße einzuholen.