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Stein für Stein – Der ewige Mainzer Dombau

Text: Michael Bonewitz
Fotos: Jonas Otte

Fast 84 Meter liegen vor ihm und zwar steil nach oben. Über drei Lastenaufzüge und eine mehr als zehn Tonnen schwere Gerüstbrücke klettert Dominik Schäfer hoch hinaus, immer an der Wand lang, bis zum Domsgickel. Aug in Aug mit dem Wetterhahn bleibt der 27-Jährige kurz stehen und dreht sich um. Mainz von oben. Ein atemberaubender Blick über den Dächern der Stadt. Nur wenige werden die Aussicht genießen können, ein paar Fotografen waren schon hier, Kunsthistoriker, natürlich die Gerüstbauer – aber sie alle sind nur auf Kurzbesuch, für ihn und seine Steinmetzkollegen wird der eingerüstete West-Turm des Mainzer Doms die kommenden drei Jahre wichtigster Arbeitsplatz sein.
Der Dom wird saniert. Übrigens nicht nur von außen. Kaum war das 1000-jährige Domjubiläum zu Ende, wurden die ersten Löcher ausgegraben. Metertiefe Baugruben direkt vor dem Altar, Kabeltrommeln türmten sich in der Sakristei, Hochbetrieb herrschte in einem Seitenraum der Bischofsgruft, wo die Steuerungszentrale für eine neue Medienanlage untergebracht wurde. „Acht Baustellen hatten wir in den letzten Monaten gleichzeitig im und rund um den Dom“, zählt Domdekan Heinz Heckwolf auf, der als Hausherr die Bauarbeiten überwacht. Eine der komplexesten Eingriffe in das Innere des Doms ist der Einbau der neuen Lautsprecher- und Medienanlage, für die rund 32 Kilometer Kabel im Dom verlegt wurden. Seit Oktober 2010 ist sie im Betrieb.
Neben der besseren Akustik für die Besucher haben Musiker und Priester völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten untereinander: „Bei unseren Prozessionen“, erklärt Heckwolf, „sah der Organist nie, wo wir gerade sind, er hat dann die entsprechenden Musikstellen nach Gefühl, sozusagen im Blindflug eingespielt, das hat sich nun enorm verbessert.“ Mit dem Ausbau wurden gleichzeitig die technischen Voraussetzungen für Live-Übertragungen von Gottesdiensten im Fernsehen oder Internet geschaffen. Finanziert hat die rund 700.000 Euro teure Anlage der Mainzer Dombauverein. Übrigens: Bei den Bauarbeiten wurde versehentlich eine Grabkammer angeschnitten, zum Glück ohne Folgen. Es war das Grab von Bischof Burg, der 1768 geboren wurde.

Auch der Dom geht mit der Zeit

Ob Innen oder Außen, jede Sanierung birgt immer die Gefahr, das kirchliche Denkmal zu beschädigen. Und doch lassen sich mitunter massive Eingriffe in die historische Bausubsanz nicht vermeiden. Einerseits soll er möglichst erhalten bleiben wie er gebaut wurde, andererseits muss auch der Dom mit der Zeit gehen. Dazu gehören modernste Medienanlagen, aber auch ein neues Lichtkonzept, an dessen Entwicklung zurzeit intensiv gearbeitet wird: „Wir wollen nach und nach die veraltete Dombeleuchtung durch ein neues, effizienteres Lichtsystem ersetzen“, erklärt Domkonservator Dr. Hans-Jürgen Kotzur, „allerdings dürfen wir nicht den Fehler machen, aus falsch verstandener Modernität heraus, den Charakter des Mainzer Doms aufzugeben.“
An der Außenfassade, die seit jeher eine Dauerbaustelle ist, gibt es da ohnehin keine Diskussionen. Tag und Nacht sind die historischen Steine und Figuren Wind und Wetter ausgesetzt. Und seit dem Kirchen und Kathedralen gebaut wurden, existieren Dombauhütten mit Schmieden, Maurern, Zimmerleuten und Steinmetzen, die versuchen, den Verfall der Gotteshäuser aufzuhalten. Erste Steinmetzzeichen am Dom stammen übrigens aus dem Jahr 1183.

Dombauverein sammelt Millionen

Mehrfach kam es im Dom zu katastrophalen Bränden, so auch 1767. Damals gab man dem Westvierungsturm, der heute eingerüstet ist, sein steinernes Dach. Da Sanierungsmaßnahmen am Dom von alters her enorme Summen verschlingen, gründete man 1856 erstmals einen Dombauverein. Nach dem die wichtigsten Renovierungsarbeiten umgesetzt waren, stellte der Verein rund zwanzig Jahre später seine Tätigkeit ein. Zur Neugründung kam es 1999, erster Vorsitzender war Anton Issel. Inzwischen geht die gesammelte Summe der über 2000 Mitglieder unter dem Vorsitz von Sabine Flegel in die Millionen.
Geld, das dringend gebraucht wird, um das Wahrzeichen von Mainz am Leben zu halten. Wichtigste Einrichtung dafür ist die Mainzer Dombauhütte. Viele, der festangestellten Steinmetze, so auch Dominik Schäfer, haben hier ihre Lehre begonnen. Die Anfänge der heutigen Dombauhütte reichen rund 60 Jahre zurück. 1950 wurden erstmals domeigene Handwerker eingesetzt. Aber erst 1963 wurde die Mainzer Dombauhütte unter Kardinal Volk offiziell gegründet und seit 1984 werden hier regelmäßig Steinmetze ausgebildet.
Für Dominik Schäfer ein Glück, der schon in der Oberstufe Kunst als Leistungs- und Lieblingsfach hatte und nach seinem Abitur unbedingt einen Handwerksberuf ergreifen wollte. „Natürlich übt es einen besonderen Reiz aus, an einem 1000 Jahre alten Kulturdenkmal mitarbeiten zu können“, ergänzt er. Vor allem die romanischen Bauten haben es ihm angetan: „Das Höhlenhafte, manchmal an eine Trutzburg erinnernd, das ist schon beeindruckend“, und er ist sich sicher, „solche Räume können auch unabhängig von religiösen Interessen für viele Menschen faszinierend sein“.

Junges Team saniert alte Steine

Die Faszination jedenfalls scheint in dem relativ jungen Team um den Leiter der Hütte, Jörg Walter, ansteckend zu sein. „Sie gehen alle begeistert und hochmotiviert an die Arbeit“, spürt Walter. Dabei sind die Handwerker nicht nur für den Dom zuständig, sondern für alle Liegenschaften des Mainzer Bistums und das reicht bis Bingen und Worms, aber auch weit in den Odenwald hinein über Rüsselsheim, Darmstadt bis nach Erbach und selbst nach Nordhessen bis Gießen und Alsfeld.
Die Herausforderung bleibt die Gleiche: Das Ursprüngliche bewahren. Sehr eng wird dabei mit den Denkmalschutzbehörden zusammen gearbeitet, mit Domdekan Heinz Heckwolf und vor allem mit Dr. Hans-Jürgen Kotzur von der kunsthistorischen kirchlichen Denkmalpflege.
Ob schlichter Mauerstein oder aufwändig gestaltete Figur, stets muss geprüft werden, ob das Original zu retten ist: „Wenn genug Originalsubstanz erhalten werden kann, gibt es für uns keine Diskussion“, so Dr. Kotzur. Die Folgen unsachgemäßer Sanierung bekommen die Domhandwerker in der Regel meist viele Jahre später zu spüren. So wurde früher oft tonnenweise mit Steinersatzmasse geflickt, die sich als sehr kurzlebig erwiesen hat und nun bei der aktuellen Sanierung durch solide handwerklich gearbeitet Steinmetz-Arbeiten ersetzt werden muss.

Oberstes Ziel: Qualität

Steinersatzmassen sind Mörtel, zumeist auf Zementbasis, die anstelle von Natursteinteilen eingesetzt wurden. Da diese Mörtel weder die Struktur noch die gleiche Wasserdurchlässigkeit des Natursteins haben, setzen sie sich trotz vorschriftsmäßiger Verarbeitung nach kurzer Zeit vom umgebenden Naturstein ab. Für die Dombauhütte steht seit dem fest: „An die Außenfassade und Natursteine lassen wir keine Fremdfirmen mehr ran. Es hat sich gezeigt, dass wir mit unserem selbst gesteckten Qualitätsanspruch langfristig besser fahren“, erklärt Walter. Geld und Zeit dürfen in dem Fall keine Rolle spielen: Was zählt ist die Qualität und das Ergebnis.
Die Grundlage jeder Restaurierung ist die umfassende und sehr genaue Schadensaufnahme sowie die Dokumentation, mit der das Dombauamt betraut ist. In diesen Dokumentationen wird auch die Dringlichkeit der Arbeit festgelegt. Erst dann kann entschieden werden, inwieweit konserviert, ergänzt oder ersetzt werden muss – mit welchen Ressourcen und in welcher Zeitspanne.
Am West-Turm des Doms wird in den nächsten Wochen erst mal die Fassade gereinigt, danach kommen die Denkmalpfleger und Kunsthistoriker, die die Schäden analysieren und aufnehmen, erst zum Schluss sind die Steinmetze dran, die dann von oben nach unten den Dom – wenn es sein muss – Stein für Stein auf Vordermann bringen.

Mit mittelalterlichen Techniken Steinfiguren kopieren

Deutlich aufwändiger sind die Arbeiten an den Figuren rund um den Dom. Seit etwa zwei Jahren steht den Domhandwerkern ein eigenes Lapidarium zur Verfügung, eine Steinhalle, in der die Figuren aufbewahrt werden können, ohne dass sie permanent der Witterung ausgesetzt sind. Romanische Engel mit abgebröckelten Flügeln stehen hier neben Löwen oder Madonnen, an denen der Zahn der Zeit schon deutlich genagt hat. Ziel ist es: die Figuren so authentisch wie möglich zu restaurieren. Ist das Original nicht mehr zu retten, werden Kopien aus Stein angefertigt.
Über Punktieren, einer Kopiertechnik, die seit der Renaissance üblich ist, werden die Figuren nachgebaut. Die Technik hat sich als sinnvoll und sehr gut erwiesen. Theoretisch sind solche Kopien auch mit modernster Technik wie etwa Laser-Abtastungen möglich, aber Laser-Verfahren sind meist aufwändig und sehr teuer und bringen am Ende kaum Zeitersparnis. Übrigens: Die berühmte Reiterstatue des St. Martin auf dem Dom ist auch eine Kopie. Das Original steht inzwischen auf der Kupferbergterrasse.
Der Erfolg der Dombauhütte liegt in der Langlebigkeit: „Das Zeitaufwändige unserer Arbeit, ist das schonende Restaurieren, aber am Ende wird es sich auszahlen“, ist sich Walter sicher. Gerade die auf Dauer eingerichteten Bauhütten in ganz Deutschland wie auch im europäischen Ausland beweisen, dass kontinuierliche Pflege das Beste für die Erhaltung der Domkirchen ist.

Nicht jedem Trend nachlaufen

Kommunikation untereinander ist ein wichtiger Aspekt. Schon seit Jahren hält die Mainzer Dombauhütte regelmäßig Kontakt zu anderen Kollegen etwa in Köln, Freiburg, Passau oder Xanten, dazu kommen wissenschaftliche Tagungen der Dombaumeister, die mit Fachleuten diskutieren. „Natürlich muss man wissen, an was die Forschung arbeitet, welche Entwicklungen und neue Verfahren es bei der Steinkonservierung gibt“, ergänzt Walter, „aber andererseits darf man auch nicht jedem neuen Trend nachlaufen, wir denken eben beim Dom in ganz anderen Zeitläuften als etwa ein Immobilienbesitzer.“
Für Dominik Schäfer ist die Arbeit am Dom nur ein Teil seines Steinmetz-Lebens. In seiner Freizeit gibt er mehr und mehr seiner künstlerischen Ader Raum. Er bearbeitet Betonblöcke zu Kunstwerken. „Das ist ein starkes inneres Bedürfnis von mir.“ Erste Ausstellungen gab es bereits, allerdings wollte er bislang noch keines seiner Werke verkaufen. „Es geht mir hier nicht um wirtschaftliche Interessen. Für mich ist das künstlerische Arbeiten eine Form der Kommunikation. Ich schaffe etwas, das ich sprachlich nicht ausdrücken kann.“
Dominik Schäfer lebt in der Neustadt, ist aktives Mitglied bei Peng, war 2009 dort sogar im Vorstand tätig und findet in seiner Steinmetz-Tätigkeit auch eigene Charaktereigenschaften wieder: „Wenn man mit einem massiven Werkstoff arbeitet, dann muss man manchmal mit seiner ganzen Kraft und Dynamik vorgehen, aber manchmal eben auch ganz sensibel seine Kraft präzise steuern können. Das ist die Kunst – nicht nur im Steinmetz-Alltag.“