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„Das ist doch ganz normal!“ – Schwul Lesbisches Leben in Mainz

Text: Marietta Gädecke
Fotos: Katharina Dubno

Vor dem Eingang im Brückenkopf sticht uns eine „heiße Biene“ ins Auge. Insektenfühler, lange Beine, tiefes Dekolleté und schwarz-gelb geringelte Wespentaille – die Drag Queen Gracia Gracioso hat sich zur „Hummelflugparty“ schick rausgeputzt. Kein Wunder, die Events von Schwuguntia, des schwul-lesbischen Vereins in Mainz, sind Höhepunkte im Jahr. Auch die Sommerschwüle und das Schneegestöber gehören dazu.

Kaum einer würde vermuten, dass hinter all dem Partyspaß nur eine Hand voll Aktiver steckt. Angela Lauterbach (50) engagiert sich schon seit 17 Jahren für den Verein. Sie hat erlebt, wie viele Ideen geboren wurden, die zu eigenständigen Vereinen heranwuchsen, wie das LesBiSchwulen Kulturzentrum (LBSK) oder der Chor „Die Uferlosen“. Ziel von Schwuguntia ist es, das schwullesbische Leben in Mainz zu unterstützen. Ein wichtiges Anliegen ist dabei, „sich zu zeigen“: Angefangen bei der Kombination des Sommerschwüle-Events mit politischen Aussagen, über öffentliche Aktionen bis hin zur finanziellen Unterstützung für schwul-lesbische Gruppen in der Region. Auch privat geht Angela offen damit um. Nicht zu sich zu stehen wäre für sie schlimm: „Das ist als würde man sich verbiegen“.

Das wohl bekannteste regelmäßige schwul-lesbische Event in Mainz ist die „Warm ins Wochenende“-Party auf dem Campus. Hier treffen sich alle, die eine Neigung zur gleichgeschlechtlichen Liebe haben. Aber auch Heteros kommen gerne her, vor allem Frauen, die ausgelassene gestählte Männerkörper mal ganz anders bewundern wollen. Die Bässe wummern und man hat den Eindruck, das Kulturcafé noch nie so voll gesehen zu haben. Seit mehr als 15 Jahren folgen Geschlechter und Gender jeder Couleur, Land- und Stadtbewohner von Mainz bis nach Köln dem Ruf auf den Mainzer Campus. Zu verdanken ist die Partyreihe dem Engagement des Autonomen Schwulenreferats der Uni und des Les-BiSchwulen Kulturzentrums, das auch die Bar jeder Sicht betreibt.

Ohne Ehrenamt läuft nichts

In der Bar jeder Sicht sind professionell geschulte Coming-Out-Berater nur eine Mail weit entfernt. Andreas Vetter (45) vom Team erklärt: „Der Beratungsraum ist extra räumlich getrennt.“ Denn bei Fragen, die das ganze Leben umkrempeln, ist Diskretion wichtig. Auch eine Beratung per Mail (beratung@sichtbar-mainz.de) oder Telefon (0174 / 49 852 86) ist möglich. Sicherheit bietet die Bar auch als Ort, an dem jeder sich akzeptiert und nicht nur toleriert fühlen kann. Ganz nach dem Motto „sichtbar leben“. Denn Diskriminierung spüren viele vor allem im Kleinen: Da sind die angeekelten Blicke, wenn Schwule in der Fußgängerzone Händchen halten oder Machosprüche und Grabschversuche, wenn sich zwei Lesben auf der Tanzfläche küssen. Immer noch ist Realität, dass „schwul“ als Schimpfwort gebraucht wird. Unbelehrbare betrachten Homosexualität als Krankheit. Und mancher meint Schwulen und Lesben falsch platziertes Mitleid entgegen bringen zu müssen. All das hinterlässt Spuren und gibt Lesben und Schwulen immer wieder das Gefühl, außen vor zu sein. Ganz anders fühlt man sich in der frisch renovierten Bar: Gemütlich und offen für jeden, kann man hier man selbst sein. Egal, ob lesbisch, bi, schwul, trans oder hetero – es ist Raum auch für mehr als nur einen Kaffee: Die Veranstaltungen erstrecken sich über Kinoabende, Partys, Diskussionen oder lockeres Zusammensein bei diversen Stammtischen von bi-oh-logisch und MainzTS, über die Gayfarmer bis zur BDSM-Gruppe und den fußballverrückten Meenzelmännern. Das ganze Konzept lebt vom Engagement der Community, selbst gekellnert wird ehrenamtlich.

Ohne diese unbezahlte Einsatzfreude würde schwul-lesbisches Leben in Mainz eine kümmerliche Existenz fristen. Martin Schneider, Vertreter des Schwulenreferats, wird richtig überschwänglich, als er stolz berichtet: „Es gibt kaum was Schwules in Mainz, bei dem wir nicht involviert sind!“ Zugegeben, die Palette ist breit: Von diversen Kooperationen, darunter mit der AIDS-Hilfe und dem Verein Schwuguntia, über Beratungsangebote, Vorlesungen zum Thema Queer und Sexualität, einer eigenen Bibliothek und Videothek, bis zur Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema. Für Martin ist es heute immer noch genauso wichtig, die „Vormachtstellung der Hetero-Gesellschaft“ zu hinterfragen und gegen Diskriminierung zu kämpfen wie früher. Denn schwul zu sein ist für ihn mehr als nur seine sexuelle Vorliebe, es ist „Teil meines Ichs“. Egal ob lesbisch, bi, schwul oder transgender – wichtig ist zu merken, dass man nicht alleine ist. Im Schwulenreferat setzt er sich darum für eine offene Gesellschaft und Vielfalt ein – natürlich besonders für Schwule, aber auch für alle anderen, deren Leben nicht in das gesellschaftliche Wunschbild passt.

Eine neue Welt gewonnen

Zu ihnen gehört auch Elisabeth. Die schüchtern wirkende 48-Jährige lebte früher das „Hetero-Ideal“: 14 Jahre mit einem liebenden Ehemann, zwei Söhnen und einem renovierten Bauernhof. Und dann kam alles anders, als sie sich mit 43 Jahren in eine Frau verliebte. „Am Anfang konnte ich mir das nicht erklären“, sagt sie, „es war, als ob ein Schalter umgelegt wurde.“ Ihr Mann konnte erst nicht begreifen, was los ist. „Er dachte: Ach, wenn das nur eine Frau ist, ist das nicht so schlimm.“ Doch die Gefühle blieben und man merkt, dass diese Zeit besonders schwer für sie war. Sie erzählt von Unverständnis, Paartherapie, Verlust und von großen Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindern und ihrem Partner. Für Elisabeth grenzte das an Selbstzerfleischung: Wie gehe ich damit um, dass meine Pläne nicht mehr zu meinem Leben passen? Könnten die Gefühle nicht so plötzlich weggehen, wie sie gekommen sind? „Es ist einfach so passiert“ – das zu akzeptieren ist schwer, vor allem, wenn man sich diese Entwicklung nicht gewünscht hat. Elisabeth ist froh, dass es Anlaufstellen wie das Frauenzentrum gab, die ihr geholfen haben. Sie selbst gibt heute mit Arbeit in der Beratung ein Stück zurück und will anderen Mut machen, diesen Schritt zu wagen. Denn sie hat nicht nur viel verloren, sondern auch eine neue Welt gewonnen: „Es war wie eine zweite Pubertät.“ Alles war wahnsinnig überwältigend und „letztendlich für mich viel schöner“.

Heiße Nächte im Keller

Wer es in jeder Hinsicht heißer mag, sollte zur Bluepoint-Herrensauna gehen. Untergebracht in einem unauffälligen Neubau nahe dem Hauptbahnhof, entpuppt sich das Etablissement als ehemaliges Weinkellerrestaurant. Immer noch stehen rustikale Tische und Stühle in dem weitläufigen Gewölbe. Und es wirkt schon etwas bizarr, wenn nur notdürftig mit einem Handtuch bekleidete Männer dort an ihrem Bier nippen. Es ist ein „heimlicher Ort für Schweinereien“. Die Events dort sind teilweise höchst umstritten und wecken eine eigentümliche Mischung aus Neugier und Abscheu. So lebt das Sauna-Geschäft hauptsächlich von Besuchern von außerhalb. Die Männer vom Bluepoint-Team erklären sich die Zurückhaltung der Mainzer mit der Angst vor dem Schmuddelimage: „Das ist, als ob du deinen Bekannten im Swingerclub triffst“, sagt Hans-Dieter Clasen, der Chef. Die Bluepoint-Crew sieht in der Sauna einen Rückzugsraum, in dem alles möglich ist: vom ganz klassischen, entspannten Saunieren bis zum heißen Körperkontakt. Die Herren vom Team sind auf Zack: Mit viel Kreativität wird an neuen Events und Dekoideen gefeilt und stolz halten sie dem Besucher die edelsten Saunadüfte unter die Nase. Egal, ob Fetisch oder behinderte Menschen, dem Team ist eines wichtig: „Keine Randgruppe verdient es, dass man über sie herzieht.“ Kondome liegen kostenlos aus. Trotzdem bleibt das Konzept umstritten. Ja, Erwachsene sind selbst dafür verantwortlich, was sie tun. Andererseits: Soll es wirklich Orte geben, an denen alles möglich ist? Entscheiden muss das jeder Besucher für sich alleine. Für die Sauna gilt jedenfalls: Verrückt und kinky? Ja. Schmuddelig? Nein.

„Sven Heartcrash“, so sein Name als DJ, hat seine Entscheidung getroffen: „Cruising Areas sind nicht so meine Welt.“ Mit bürgerlichem Namen heißt er Sven Krämer und verdient im Alltag sein Geld als Altenpfleger. Er war noch nie in der Sauna, kennt dafür aber die Mainzer Szene sehr genau – egal ob hetero oder homo. Sein Freundeskreis ist bunt gemischt und beim Weggehen trifft man ihn mal auf schwulen Partys und mal in Clubs wie dem Red Cat. Was Schwulsein für den 23-Jährigen bedeutet? „Gar nichts!“ Er will sich als Person über mehr als nur seine Sexualität definieren. „Ich teile mein Bett eben mit meinem Freund und keiner Freundin.“ Nicht mehr und nicht weniger. Sven ist es trotzdem wichtig, dass man sich nicht auf den errungenen Lorbeeren der gesellschaftlichen Toleranz ausruht, gerade wenn es um Unterstützung für homosexuelle Schüler geht. „Aber was die Älteren erkämpft haben, brauchen wir nicht neu zu erfinden.“

Die Liebe zählt

Im Gegensatz zur schwulen Szene ist die der Lesben kleiner, überschaubarer. Einmal drin in dem engen Geflecht aus Freund- und Liebschaften kennt irgendwann jede(r) jede(n). Auch Marianne und Mon gehen gerne auf lesbische Veranstaltungen. Sie sind seit 17 Jahren ein Paar. Damals, auf einem Frauenfest, war Mariannes Tochter gerade ein Jahr alt und eigentlich der Anlass zum Kennenlernen: Sie ist afrodeutsch, so wie Mon, denn Marianne lernte den Vater ihres Kindes in Afrika kennen. Das führt aufgrund der Hautfarbe manchmal zu Verwirrung bei anderen: „Wer ist denn nun die Mutter?“ Mon hatte von Anfang an kein Problem mit dem Kind ihrer Freundin. Sie mag Kinder, auch wenn sie selbst nie eigene wollte. Mon sieht sich mehr in der Rolle eines Stief-Elternteils. Marianne trat darum zum Beispiel in der Schule immer als Alleinerziehende auf. Die beiden leben ganz offen, aber sie reden nicht viel darüber, denn „das ist für uns ganz normal“. Ihr Umfeld weiß Bescheid. Als sie mal ihre Tochter fragten, was ihre Freunde dazu dächten, kam als Antwort: „Wir haben interessantere Themen, als uns über unsere Eltern zu unterhalten.“ Normalität pur.

Auch Rolf Weber-Schmidt (54) hat Kinder. Sie entstammen seiner zweiten Ehe. „Alles wunderbare Jungs“, sagt er. Ein freundlicher, offener Mann, der seine Worte gerne mit Gesten unterstreicht. Wir treffen ihn in seiner Galerie Mainzer Kunst! Wenn er über seine Liebe zum evangelischen Pfarrer Ralf Schmidt (46) redet, dann lächelt er und spricht von der „dritten und letzten Ehe meines Lebens“. Einfach, das macht er klar, war der Weg dahin für ihn jedoch nicht. Rolf wurde in einem sehr traditionellen katholischen Elternhaus groß: „Du spürst irgendwelche Gefühle und verdrängst sie. In mir waren lange viele Zweifel.“ Sein Schwulsein auszuleben brachte nicht den einzigen, bedeutenden Umbruch in seinem Leben. Der zweite war sein Berufswechsel. Erst mit knapp 50 Jahren macht er sich als Galerist selbstständig. Ein gutes Vierteljahrhundert war er durchaus erfolgreich in der Wirtschaft tätig, zuletzt als Personalchef. Seit einem Jahr ist Rolf mit Ralf „verpartnert“, wie es im Beamtendeutsch heißt. Sie selbst haben immer von „Hochzeit“ gesprochen. Rolf hat auch negative Erfahrungen, doch die verblassen, wenn er von der positiven Anteilnahme spricht, die er und sein Mann bei ihrer Hochzeit erfahren durften. „Die Kirche war brechend voll!“ Quer durch alle Generationen freuten sich Mainzer Bürger für die beiden: vom Kindergarten, über Rosenblätter werfende Mütter, bis zum Seniorenkreis. Jetzt, ein Jahr später, ist Ruhe eingekehrt. Auch sie thematisieren ihr Schwulsein nicht ständig, sondern sind einfach als Paar präsent. Sie helfen und unterstützen sich. Offen nachgefragt wird bei Rolf nicht: „Es ist so normal!“ Anonyme Kritik gibt es manchmal und sie schmerzt – doch die Freude am Leben raubt sie ihm nicht. Und außerdem: Selbst Rolfs 85-jähriger Vater hat sich mit dem neuen Dasein seines Sohnes arrangiert.

Es fällt auf, dass viele bereit waren, uns ihre Geschichte zu erzählen – doch nur wenige wollten dafür ihren echten Namen und ihr Gesicht preisgeben. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein – von der Angst vor Gerede bis hin zur Angst vor beruflichen Nachteilen. Es bleibt für unsere Stadt mit ihren Lesben und Schwulen also viel zu tun – für Offenheit und Akzeptanz.

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