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Der Lebensmittelchecker – Mit dem Ordnungsamt auf Tour

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von Thomas Schneider und Jonas Otte (Fotos):

Er mag Indie-Rock, ist Single und Lebensmittelkontrolleur aus Leidenschaft. Andy (mit y) nennen ihn seine Freunde und Kollegen. Andreas Linke ist jemand, der mit 44 Jahren überzeugt von sich sagt, seinen Traumjob gefunden zu haben. Der gelernte Bäcker-Meister kommt aus Spelle bei Westfalen und zog 2008 nach Mainz, um für das Rechts- und Ordnungsamt zu ermitteln. Sieben Kontrolleure, darunter eine Frau, betreuen und untersuchen täglich etwa 2.400 Betriebe, die Lebensmittel, Kosmetik, Bedarfsgegenstände in Lebensmittelkontakt und Tabakerzeugnisse herstellen, verarbeiten oder vertreiben.

Traumberuf Kontrolleur?

Um diesen Weg einzuschlagen, muss man vorab Meister im Lebensmittelhandwerk, Betriebswirt mit Fachrichtung Hotel- und Gaststättenwesen oder ausgebildeter Lebensmitteltechniker sein. Das Einstiegsmonatsgehalt in Mainz liegt während der 18- bis 24-monatigen Weiterbildungsphase zum staatlich geprüften Lebensmittelkontrolleur bei 2235,78 Euro brutto. Lebensmittelkontrolleure probieren kein Sandwich oder Steak oder mal eine Portion Nudeln, um zu schmecken und herauszufinden, ob hier alles in Ordnung ist oder vielleicht Mängel bestehen. Vielmehr überprüfen sie stichprobenartig mit Geräten und nach Augenmaß oder per Probenahme, ob Gesetze und Verordnungen, die Restaurantbesucher und Konsumenten schützen sollen, eingehalten werden. Sie stützen sich dabei primär auf europäische Vorgaben der letzten zwölf Jahre.

Dienstalltag

Circa drei Kontrollen finden pro Tag statt, grundsätzlich unangekündigt, manchmal auch an Wochenenden. Oft sind es Belehrungen und Hilfestellungen, berichtet Andy, aber es entstehen auch Sanktionen durch seine Besuche. Ordnungswidrigkeiten etwa lassen sich per Verwarnungsblock vor Ort mit 5 bis 55 Euro ahnden. Ab 201 Euro erfolgt ein unangenehmer Eintrag ins Gewerbezentralregister. Vorgeschlagen wird die Höhe solcher mitunter schmerzhafter Bußgelder (maximal 50.000 Euro) durch seinen Vorgesetzten und verarbeitet durch die zentrale Bußgeldstelle in Ingelheim. Bei Gesundheitsgefährdungen kommt zusätzlich ein Hygiene-Inspektor des Gesundheitsamtes zum Einsatz, zum Beispiel, wenn mehr als drei Durchfallerkrankungen im Anschluss an den Besuch desselben Restaurants aufgetreten und ärztlich erfasst sind. Geschlossen werden Betriebe übrigens sehr selten und meist eher temporär.

Tag eins

Andy zwei Tage bei der Arbeit zu begleiten, ähnelt von Beginn an einer Fernsehserie oder Privatsender-Doku. Nervös und von kindlicher Begeisterung gepusht, startet er in den Tag. Wir sitzen im Ordnungsamt-Dienstauto ohne Blaulicht und Sirene, das ausschließlich den Lebensmittelkontrolleuren zur Verfügung steht. Eine (selbstverständlich) unangekündigte Planprobe, auch genannt Probenahme, in einer Kantine eines großen Kaufhauses steht auf dem Programm.

Dabei handelt es sich sozusagen um einen Befehl von oben: Das Landesuntersuchungsamt Koblenz schrieb der Stadtverwaltung Mainz, das Labor des Instituts für Hygiene und Infektionsschutz in Trier benötige zwei „zu den Mittagsmahlzeiten zubereitete Soßen“ zu je 100 g. Diese sollen mikrobiologisch überprüft und dazu, unter Einhaltung der Kühlkette, per Lebensmittelüberwachung und Kurierdienst transportiert werden – ein Routineeinsatz.

„Datt soll‘n die aber auch!“

Auf dem Weg zum ersten Einsatzort erklärt Andy, dass es erst in den 70er Jahren so richtig losging mit Gesetzen und Kontrolleuren in Deutschland, diese damals aber teilweise verachtet und bedroht wurden. Heute sei die Lage entspannter: „Mittlerweile haben die ja schon Respekt vor uns. Datt soll‘n die aber auch!“ Es geht los. Wir treten ein und stellen uns vor. Besser gesagt: Andy zeigt seinen Ausweis und stellt uns vor. Nun legen wir weiße Kittel an, um den Bereich hinter den Theken und die Küche zu inspizieren. Immer im Blick: Decke, Wände, Boden. Der herbeigerufene Küchenchef nimmt alles locker, ist schon lange im Geschäft. Nicht seine erste Kontrolle. Im Fokus liegen heute die Proben. Wir erreichen zwei große Töpfe mit Soßen. Die „Bratensoße“ wurde erkennbar mehrfach aufgekocht, was noch nichts zu heißen hat, aber auffällt, die Tomatensoße ist unfertig. Beide werden wie vorgefunden entnommen und kommen direkt ins Kofferraum- Kühlaggregat und mittags per Kurier nach Trier.

Tag zwei

Unsere Ziele heute sind eine Burgerbratstube in der Innenstadt, die täglich frisches Rind durch den Fleischwolf jagt und „medium“ gebraten anbietet, und ein Gonsenheimer Döner-Laden. Kühlschrank-Dichtungsgummis, Frische der gekühlten Waren, versteckter Schmutz, abwaschbare Flächen und Wände, Mitarbeitertoilette, Messer, Arbeitskleidung – vieles wird begutachtet, manches bemängelt. Noch eben das Frittierfett gemessen, 5,5 Prozent, bei zulässigem Maximalwert 20 Prozent unbedenklich.

Der Burger-Imbiss läuft vorbildlich, trotz kleiner Mängel wie verschlissenen Plastik-Schneidebrettern, Flusen im Kühlschrank und einem nicht frei zugänglichen Handwaschbecken. Mit dabei ist Kollege Volker Sittel (40 Jahre) – er wirkt entspannt; beruhigend in der Situation eines Überraschungsbesuchs. Es folgen Tipps fürs Personal. Die notwendigen „Nachweise für Personen im Umgang mit Lebensmitteln“ liegen aber für alle Mitarbeiter vor, sind also bereits vom Gesundheitsamt belehrt worden. Die Tour kann weitergehen, Richtung Gonsenheim.

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Grundausrüstung: Fettmesser, Taschenlampe, Handschuhe, Fotokamera, Verwarnungsblock, Thermometer, Schutzkleidung

Döner ohne Erstbelehrung

Unsere letzte Station ist ein klassischer Döner-Laden. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung, der Laden neu, die Waren in der Theke ansehnlich, auch die Sauberkeit stimmt. Die Speisekarte liegt aus und führt die Geschmacksverstärker, Stabilisatoren und Allergene auf. Alle Geräte sind gepflegt und ein Handspülbecken an richtiger Stelle vorhanden – auch hier vieles vorbildlich. Transportfolie klebt zwar noch an den Kühlschränken und muss entfernt werden, in der Tiefkühltruhe befindet sich Fleisch mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum und fehlender Kennzeichnung des Einfrierdatums – alles Kleinigkeiten.

Ein Problem gibt es aber dennoch und das wird erst am nächsten Tag konkret. Die so genannte Erstbelehrung muss der einzig anwesende Mitarbeiter im Laden nachweisen, die sei aber bei ihm zu Hause, so versichert er. Andy hält das für glaubhaft und erklärt beim Ausfüllen seines Kontrollberichts wiederholt, dass er andernfalls den Laden schließen müsse, da derzeit niemand mit der notwendigen „Bescheinigung zum Nachweis über die Belehrungen nach § 43 Infektionsschutzgesetz“ anwesend ist. Da platzt dem Mitarbeiter auch schon der Kragen bzw. die Schürze, die er ablegt und Andy anbietet, ebenso den Laden besser sofort zu schließen und selbst zu schmeißen, sich aber doch noch beruhigen lässt.

Bitterer Nachgeschmack

Am nächsten Tag soll der Nachweis per E-Mail oder Fax erfolgen, und so geschieht es, bloß ist es eine neue, auf heute datierte Bescheinigung, die alte sei verloren gegangen. Sollte sich nun nicht nachvollziehen lassen, dass und wann tatsächlich bereits die Erstbelehrung dieses Mitarbeiters erfolgt war, würde dem Inhaber zur Last gelegt, wissentlich einen Mitarbeiter ohne Belehrungsbescheinigung beschäftigt zu haben. Andys Vorgesetzter wird der Bußgeldstelle Ingelheim ein Bußgeld in Höhe von 300 Euro vorschlagen, inklusive Eintrag ins Gewerbezentralregister.

PS.: In letzter Zeit melden immer mehr besorgte Bürger ihnen aufgefallene Mängel in Lebensmittelbetrieben. Die Nummer dafür ist 06131 – 12 24 38.