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Die Welt des Dr. Tretznok (November)

Beinahe wäre ich achtlos an dem Plakat vorbeigegangen, aber die drei Worte passen irgendwie gar nicht zusammen. „Laufen, Walken, Wandern“ lese ich, drei mir wohl bekannte deutschsprachige Begriffe. Worum mag es gehen? frage ich mich.

„Laufen“ und „Wandern“ bezeichnen Fortbewegungsarten, „Walken“ bedeutet so viel wie „Durchkneten“, und das ist auch der Begriff, der mich irritiert. Ich stelle mir eine neue Sportart vor, ähnlich dem Triathlon, bei dem man erst 10 Kilometer läuft, dann irgendetwas durchknetet, um anschließend noch ein bisschen zu wandern. Verwundert gehe ich weiter, und erst ein paar Minuten später dämmert es mir, dass mit „Walken“ vielleicht gar nicht das deutsche, sondern das englischsprachige „Walken“ gemeint ist.

Mein Problem ist, dass meine Muttersprache Deutsch ist und mein Wortschatz größer als der eines dreijährigen Kindes. Das sind heutzutage schlechte Voraussetzungen, um irgendetwas richtig zu verstehen. Wenn dann deutsche und englische Begriffe wahllos gemischt werden kommt es rasch zu Missverständnissen. So gibt es in Mainz mehrere Bäcker-Selbstbedienungsläden mit dem Namen „Backfactory“, ein offensichtlich englisches Wort, das übersetzt „Hinternfabrik“ heißt. Appetitlich ist das nicht, wer will schon Brot essen, das aus einem Hintern kommt? Gemeint ist aber wahrscheinlich das deutsche „Back“, kombiniert mit dem englische „factory“.

Wunderlich ist auch der Name eines Autohändlers, den ich kürzlich auf der Rückseite eines Autos gelesen habe. „Car-Ass“ stand da, auf gut deutsch „Wagen-Arsch“, und ich frage mich, wie es zu solchen Ausfallerscheinungen kommen kann. Die einzige Erklärung ist, dass die Erfinder solcher Namen weder die deutsche noch die englische Sprache beherrschen. Wieso aber bekommen ausgerechnet angehende Analphabeten den Auftrag, Firmennamen zu erfinden oder Plakate zu gestalten?

Das Problem der fortschreitenden sprachlichen Heimatlosigkeit lässt sich übrigens keineswegs auf bestimmte soziale Schichten begrenzen. Eine Freundin von mir arbeitet in Offenbach in einem Areal, das „Mainpark“ heißt, weil es in der Nähe des Mainufers liegt. Immer wieder rufen in der Firma Geschäftspartner oder Kunden an, um sich nach dem „Mäinpark“ zu erkundigen, akademisch gebildete Betriebswirtschaftler, die zwar die großen Finanzzentren in New York oder Singapur kennen wie ihre Westentasche, aber nicht wissen, dass der Main ein großer deutscher Fluss ist und dass Offenbach am Main liegt.

Nun möchte ich hier nicht über den Verfall der deutschen Sprache lamentieren. Sprache entwickelt und verändert sich, neue Worte tauchen auf oder werden aus anderen Sprachen übernommen. Das ist ganz natürlich und ein Zeichen von Lebendigkeit. Wenn ich aber 5 Minuten brauche, um ein Plakat mit nur drei Begriffen – Laufen, Walken, Wandern – zu entschlüsseln, wenn ich in einem babylonischen Sprachgewirr einfachste Botschaften nicht mehr verstehe, dann finde ich das erschreckend.

Vielleicht ist das alles aber auch ganz anders gemeint. Die „Backfactory“, also übersetzt „Hinternfabrik“ als Firmenname eines Bäckerladens, nimmt vielleicht Bezug auf einen traditionellen Mainzer Auszählvers, den früher Kinder in der Neustadt aufsagten. Ein Kollege, noch in den 40-ern in Mainz geboren, brachte ihn mir vor ein paar Tagen bei:

„Drunne an de Eck – wohnt de Bäcker Beck – streckt sein Arsch zum Fenster raus – määne d’Leid des wär ä Weck – kommt e Kind gelaafe – will de Weck glei kaafe – zieht de Beck sein Arsch enei – un sacht de Weck is mei“. Wer genaueres über den Zusammenhang der „Backfactory“ und diesen alten Kindervers weiß, soll sich bitte bei der Redaktion melden. Ich erkundige mich in der Zwischenzeit, ob es eine neue Sportart gibt, bei der man zwischen Laufen und Wandern irgendetwas durchknetet.

www.texthoelle.de

1 response to “Die Welt des Dr. Tretznok (November)

  1. hey herr doktor, da ist ihnen aber der mainzer sprachgeschichtlich interessantere, überall tapezierte französische begriff `sale´leider entgangen. was die industriebrötchenfirma betrifft, hat man aus rücksicht auf die sich mit dem dreck befüllenden endverbraucher und ortsansässige kleinbackbetriebe auf die wahrheitsgemäße bezeichnung `backfuck´ verzichtet.

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