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Kein Allheilmittel – Bürgerbeteiligung in Mainz und Wiesbaden

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Text Falk Sinß    Fotos Michael Zellmer

Es läuft etwas schief zwischen Politik und Bürgern. Es scheint, als würden sich beide Seiten immer mehr entfremden. „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“, steht für viele Frustrierte fest. In Wiesbaden lässt sich das sogar in Zahlen ausdrücken. Laut einer aktuellen Studie der Stadt ist der Anteil der zufriedenen Bürger von 51 auf 20 Prozent geschrumpft. Nur noch sieben Prozent glauben, Einfluss auf das kommunalpolitische Geschehen nehmen zu können. Rund ein Drittel fühlt sich zudem machtlos.

Manche Bürger reagieren darauf mit Resignation und Rückzug, was sich auch in sinkenden Wahlbeteiligungen zeigt. Andere sagen sich „jetzt erst recht“ und gründen Bürgerinitiativen, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Viele Städte versuchen zunehmend, mit freiwilligen, informellen Formen der Bürgerbeteiligung darauf zu reagieren. Sie schaffen Angebote, die über die bisher schon existierende gesetzlich vorgeschriebene Partizipation wie Anhörungen oder Auslage der Pläne bei Bauprojekten hinausgehen.

„Städte versprechen sich davon, bessere Entscheidungen zu treffen, wenn sie auf ihre Bürger hören, und natürlich hoffen sie, so für mehr Akzeptanz ihrer Entscheidungen zu sorgen“, sagt der Mannheimer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Jan W. van Deth, zu dessen Hauptforschungsgebieten Politische Kultur und Partizipation zählen. Bürgerbeteiligung könne auch helfen, Protestpotenzial zu kanalisieren und institutionalisieren.

Weinwerbung und WLAN-Hotspots

Mainz ist eine der Städte, die freiwillig ihre Bürger beteiligt. 2013 startete ein Modellversuch unter dem Namen „Meine Stadt. Meine Ideen.“ mit drei Bürgerforen. Die waren laut Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) so erfolgreich, dass sie fortgesetzt wurden. Seit 2014 finden jährlich zwei Bürgerforen statt, in denen jeweils aus dem Melderegister per Zufallsgenerator ausgewählte Bürger Ideen und Vorschläge diskutieren können. „Wir erhoffen uns davon eine stärkere Einbeziehung derjenigen, die sich – unabhängig von Einzelprojekten – für ihre Stadt engagieren wollen und dazu gute Ideen haben“, sagt Markus Biagioni, Pressesprecher der Stadt Mainz.

Einige der Vorschläge aus den Bürgerforen seien schon in die Tat umgesetzt worden. Als Beispiele nennt er den Ausbau der Werbung für Mainz als „Great Wine Capital“ oder die Einrichtung von zwölf kostenlosen WLAN- Hotspots über Kabel Deutschland in der Innenstadt. Auch auf der anderen Rheinseite sollen die Bürger stärker beteiligt werden. „Wir versprechen uns davon mehr Zufriedenheit der Bürger, besser informierte Entscheidungen der Entscheidungsträger durch die genaue Kenntnis der Bürgermeinungen – zudem mehr Akzeptanz von Entscheidungen und mehr Engagement der Bürger“, sagt Wiesbadens Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD).

In der hessischen Landeshauptstadt werden deshalb bis Herbst 2015 unter dem Motto „Bürger. Macht. Mit.“ Leitlinien zur Bürgerbeteiligung in Workshops mit den Bürgern erarbeitet. Die Leitlinien sollen regeln, wie die informelle Bürgerbeteiligung in der Kommune ablaufen soll. „Das Verfahren soll nicht ‚situativ‘ sein, wenn irgendjemand meint, jetzt müsse es mal Bürgerbeteiligung geben, sondern grundsätzlich und auch mal für etwas und nicht immer nur gegen etwas”, so Gerich.

Bürger bleiben skeptisch

Dennoch ist bei den Bürgern eine gewisse Skepsis zu spüren. Ende Februar fand an einem Samstag der erste Workshop im Roncallihaus Wiesbaden statt. Rund 80 Menschen waren anwesend, die angeregt, bisweilen hitzig, diskutierten. Peter Neffe war einer von ihnen: „Bisher habe ich nicht das Gefühl, dass es viele Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung gibt. Ich hoffe, dass wir Bürger künftig in Planungen früher eingebunden werden und nicht mehr an uns vorbei geplant wird. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es hinterher umgesetzt wird.“

Denn klar ist: Bürgerbeteiligung ist kein Allheilmittel. Sie könne auch zur Spaltung einer Kommune führen, sagt Politikwissenschaftler van Deth, „etwa dann, wenn nach einem abgeschlossenen Verfahren zur Bürgerbeteiligung ein Teil der Bürger die Entscheidung noch immer ablehnt.“ In Mainz lässt sich das gut beobachten. Dort schwelt seit längerem ein Streit um den Bau eines Einkaufszentrums (Entwickler ECE) an der Ludwigsstraße. Viele Mainzer haben Angst, dass eine neue Shopping Mall das Stadtbild verschandelt sowie die Altstadt und der lokale Einzelhandel zu Schaden kommt.

Mit den Ludwigsstraßenforen versuchte die Stadt, frühzeitig die Bürger zu informieren und zu beteiligen. Die acht Foren waren gut besucht. Bürger und Stadtverwaltung erarbeiteten 87 Leitlinien mit Vorgaben für die Verhandlungen mit dem Investor ECE, der das Einkaufszentrum bauen will. Sie wurden im Oktober 2012 vom Stadtrat mit einer Mehrheit von 97 Prozent beschlossen. „Es schien sich zunächst um einen geradezu vorbildlichen Planungsprozess mit gelungener Bürgerbeteiligung zu handeln“, sagt Hartwig Daniels, Sprecher der Bürgerinitiative Ludwigsstraße. Doch in den Verhandlungen mit ECE habe sich die Stadt nicht mehr an die Vorgaben der Leitlinien gehalten und diese nicht durchgesetzt, sagt Daniels und beruft sich dabei auf die Verhandlungsprotokolle, deren Offenlegung die Bürgerinitiative juristisch erzwungen hat und die auf deren Website einzusehen sind.

„Die Ludwigsstraßenforen waren ganz klar Alibiveranstaltungen“, sagt deshalb Dagmar Wolf-Rammensee, Co-Sprecherin der Bürgerinitiative. Und auch OB Ebling ist langsam sauer: „Die jetzige Situation ist alles andere als befriedigend. Nach allem, was ich höre, hat ECE das Grundstück nach wie vor nicht – wir können uns Stillstand an diesem zentralen Ort nicht auf Dauer leisten.“ Falls ECE das neue Einkaufsquartier nicht bald realisieren könne, sei der Konzern als Immobilienbesitzer in der Pflicht, „die vorhandene Immobilie zumindest so zu ertüchtigen, dass sie ihre Funktion als Warenhaus weiterhin erfüllen kann“.

Einen noch größeren Investitionsstau dürfe es nicht geben, meint Ebling und nennt als Beispiele Eingang, Fassade und Haustechnik des Karstadt-Hauses. ECEEntwickler Arne Nachtigahl hält dagegen: „Es ist besser, wenn vielleicht ein halbes Jahr später etwas wirklich Gutes entsteht, als wenn man jetzt über Provisorien nachdenkt.“ Zur Not würde man sich „von dem einen oder anderen Detail verabschieden müssen”.

Um einen solchen Gang der Dinge zu vermeiden, rät Politikwissenschaftler van Deth allen Städten, die Bürgerbeteiligung planen, „von Anfang an die genauen Rahmenbedingungen festzulegen. Fehlen die, ist der Frust sowohl bei der Stadt als auch den Bürgern vorprogrammiert”. Wiesbadens OB Gerich merkt hierzu an: „Bürgerbeteiligung ergänzt die repräsentative Demokratie – sie ersetzt sie nicht. Die Politik muss hierbei – durch Leitlinien – deutlich machen, wie sie die Entscheidung der Bürgerversammlung aufnimmt, wie sie abwägt und wieso sie sich dieser Meinung anschließt oder gegebenenfalls nicht anschließt.“

Start-Up sucht neue Ansätze 

Einen etwas anderen Ansatz hat das Wiesbadener Start-Up MySocialCity. „Wir sind der Ansicht, dass Partizipation nur mit Identifikation funktionieren kann“, sagt Sascha Eschmann, einer der Gründer des Start-Ups. Städte würden sich zu sehr auf wirtschaftliche Daten fokussieren und soziale Wohlfühlfaktoren außer Acht lassen.„Nur wenn ich mich mit der Stadt, in der ich lebe, wohlfühle, identifiziere ich mich auch mir ihr“, ist sich Eschmann sicher. „Identifikation schafft Motivation und Motivation schafft Interaktion.“

Bürgerbeteiligung laufe Gefahr, sich nur auf die großen städtebaulichen Themen zu konzentrieren und nur die Menschen zu erreichen, die sich mit dem Thema sowieso beschäftigen. „Wir denken, Identifikation lässt sich am besten im eigenen Viertel oder Stadtteil herstellen. Wenn mir der Straßenverkehr in meinem Viertel Sorgen macht, ist mir ein Stadtmuseum erst einmal egal“, glaubt Eschmann.

Wichtig sei, dass die Angebote zur Bürgerbeteiligung möglichst niederschwellig sind und sich gut in den Alltag der Menschen integrieren lassen, glaubt Svenja Bickert, eine weitere Gründerin von MySocialCity. Das funktioniere zum Beispiel mit einer App, die regelmäßig kurz und knapp Wohlfühlfaktoren abfragt, oder mit mobilen Bürgertischen, die an Schulen oder anderen alltagsrelevanten Plätzen einen Dialog mit städtischen Vertretern erlaubt.

Einen ersten Erfolg hatte das Start-Up jüngst mit einem Innovations-Workshop, der für die Stabsstelle „Sauberes Wiesbaden“ konzipiert wurde. Rund 40 Wiesbadener erarbeiteten konkrete Verbesserungsvorschläge, um die Stadt sauberer zu machen. Der Versuch, Bürgerbeteiligung niederschwellig und stadtteilbezogen anzubieten, könnte auch das Problem lösen, dass sich bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund oder sozial schwächere Menschen bisher kaum beteiligen. Denn nur, wenn sich wirklich alle Gesellschaftsschichten engagieren, kann Bürgerbeteiligung zu mehr Transparenz und auch Zufriedenheit führen.