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Neue Flüchtlinge für Mainz: Leben in der Warteschleife

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Die Zahl der Flüchtlinge, die aus Krisengebieten nach Europa kommen, steigt. 600 werden es 2015 schätzungsweise in Mainz sein. Wer in Deutschland Asyl beantragt, bleibt monatelang im Ungewissen. von Mara Braun / Foto: Andreas Coerper

„Wenn ich alleine bin, weine ich manchmal, weil das Heimweh groß ist.“ Mohammed schaut auf seine ineinander verschränkten Hände. Dann blickt der 28-Jährige auf und sagt: „Aber ich bin voller Hoffnung, dass meine Kinder in Deutschland ein gutes Leben haben werden.“

Als der politische Aktivist in seiner Heimat Afghanistan bedroht wird, taucht er in einer der Provinzen unter. In seiner Abwesenheit aber wird die Familie eingeschüchtert und terrorisiert. Schließlich bleibt nur die Flucht. An deren Ende landen Mohammed, seine Mutter, seine Frau und die Tochter in Deutschland und stellen einen Antrag auf Asyl. Das war im März 2013. „Nach § 3 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz wird ein Ausländer als Flüchtling anerkannt, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.“ – So lautet der Erklärtext auf der Homepage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, bei dem der Antrag auf Asyl gestellt wird. Ist das passiert, heißt es warten auf die erhoffte Asylberechtigung. Auch andere zeitweilige Aufenthaltsgenehmigungen sind möglich – oder natürlich die Ablehnung. Vorerst erhält der Bewerber eine Aufenthaltsgestattung, die regelmäßig erneuert werden muss.

„Wir wollen helfen, keine Frage“
Für die dann zuständigen Kommunen stellt sich vor allem die Frage, wie bringt man die Flüchtlinge unter? „Die Frage muss erlaubt sein, wie bezahlen wir das und wo sollen die Menschen hin“, sagt Kurt Merkator, Mainzer Sozialdezernent. Laut Deutschem Städtetag haben in den ersten sieben Monaten 2014 fast 100.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, etwa 60 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. „Wir müssen uns damit noch auf die Aufnahme von rund 190 Flüchtlingen im 4. Quartal einstellen“, macht Merkator deutlich. Für 2015 rechnet Mainz nach ersten Prognosen mit bis zu 600 Menschen. Nach derzeitigem Stand kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Entwicklung 2016 rückläufig sein wird. Von Bund und Land hat der Sozialdezernent eine Übersicht geeigneter leerstehender Liegenschaften angefordert, in der eine Unterbringung von Flüchtlingen machbar wäre. „Ich frage auch, wie sinnvoll ist die aktuelle Art der regionalen Verteilung nach einem festen Schlüssel? In der Studenten-Stadt Mainz herrscht Wohnungsnot, auf dem Land gibt es zig Leerstände, wieso denkt man da nicht um?“ Zumal die Stadt auf die Landesmittel von 502 Euro pro Flüchtling monatlich massiv drauflegt. „Die Kosten für Miete und Lebenshaltung sind hier eben hoch. Wir kriegen dieses Jahr für den Teilhaushalt ‚Asylbewerber‘ vom Land 3,75 Mio., haben aber 10,3 Mio. Kosten. Und müssen uns dann beim Haushalt sagen lassen, wir könnten mit unserem Geld nicht umgehen.“ Zu Leistungen verpflichtet die Stadt sich ganz konkret: „Wir investieren 2015 allein 600.000 Euro in die psychosoziale Betreuung der Flüchtlinge, die oft traumatisiert sind. Wir wollen und werden auch weiterhin helfen, gar keine Frage. Aber wir brauchen dafür die Mittel.“ Derzeit gibt es in der Stadt fünf Gemeinschaftsunterkünfte für Asly- Begehrende, drei weitere sind in Planung. Betrieben werden sie von den Maltesern und Juvente. Hier kommt ein Sozialarbeiter auf 100 Flüchtlinge. „Wir sind von Anfang an da“, sagt Juvente- Geschäftsführer Paul Becker: „Von der Erstunterbringung über Ämtergänge oder Kontakte zu Kitas und Schulen bis hin zu Deutschkursen oder Spielkreisen.“

Kein normales Leben möglich
„Es ist uns sehr schwergefallen, wegzugehen“, sagt Mohammed. „Wir hatten ein gutes Leben. Aber auch viel Angst.“ Die Ankunft in Europa beschreibt der Afghane, der fließend Englisch und gut Deutsch spricht, als „psychologischen Schock“, gerade die Zeit in der Asylunterkunft. „Die Deutschen sind sehr freundlich“, betont er, „aber solange man auf Asyl wartet, ist ein normales Leben nicht möglich.“ Am schlimmsten findet der inzwischen zweifache Vater eben dieses Verharren: „Ich möchte gern arbeiten, ein Teil dieser Gesellschaft werden. Aber ich schlage nur Zeit tot, kann nichts tun, nur warten.“ – Auf den Startschuss in ein neues Leben, auf Asyl. Welche Mittel Asylbewerber erhalten, ist im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Weil das Bundesverfassungsgericht die Sätze darin als verfassungswidrig eingestuft hatte, musste eine Neufassung her, die wurde im Sommer verabschiedet. Die Richter hatten die Sätze als zu niedrig für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kritisiert. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl beanstanden ohnehin die „gesellschaftliche und finanzielle Unterversorgung“ der Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Im Klartext: Wer auf Asyl wartet, ist oft schlecht integriert, lebt beengt und der Zugang zum gesellschaftlichen Leben wird ihm durch prekäre finanzielle Umstände ebenso erschwert wie durch gesetzliche Regelungen, wie zum Beispiel das vorübergehende Arbeitsverbot. Heftig kritisiert wird auch die „Residenzpflicht“, nach der Asylbewerber sich nur in einem begrenzten Gebiet aufhalten dürfen, in der Regel dem betreffenden Bundesland. In der Neufassung des Gesetzes soll die immerhin auf drei Monate beschränkt werden.

Entscheidungen nach Aktenlage
„Man bekommt den Eindruck, die Leute sollen sich erst mal gar nicht integrieren“, sagt Julia Weber (24 Jahre). Sie engagiert sich bei Medinetz Mainz, der medizinischen Vermittlungsstelle für Flüchtlinge, Migranten und Menschen ohne Papiere. Montags bietet Medinetz eine Sprechstunde in den Räumen der Caritas an, bei der Hilfesuchenden unter anderem Ärzte vermittelt werden. Auch die Zusammenarbeit mit der Ambulanz ohne Grenzen des Teams um Prof. Gerhard Trabert von Armut und Gesundheit ist eng. Asylbewerber, sagt Webers Kollege Daniel Faber, suchten Hilfe häufig, wenn chronische Erkrankungen vorliegen, bei denen die Kostenübernahme erst noch geklärt werden muss. „Da stoßen sie auf dem normalen Ämterweg oft an Grenzen.“ Über Spenden finanziert die Organisation Behandlungen, für die kein sonstiger Träger aufkommt. „Die Bürokratie-Hürden, gegen die Menschen in ihrer Not kämpfen, sind verrückt“, findet Weber. „Da wird rein nach Aktenlage entschieden.“ „All happy, all thankful.“ Der 22-jährige Abdighani nickt. Glücklich sei er, weil er sich retten konnte vor den Wirren in seiner Heimat. Dankbar für das, was dieses Land, diese Menschen, für ihn tun. Der Somalier erzählt und gestikuliert, wie er mit einem Boot übers Meer kam: „Kleines Boot, sehr klein. Viele Menschen, sehr viele.“ Er möchte Pharmazeut werden, sein Kumpel Hassan (26) „a business man“. Doch während ihre Asylanträge laufen, sind sie zum Nichtstun verdammt. Das Warten macht ihnen zu schaffen, ebenso die fehlende Privatsphäre: Hassan teilt sich mit drei, Abdighani mit zwei Fremden ein Zimmer in der Unterkunft „Alte Ziegelei“ in Bretzenheim. Um der Enge zu entfliehen, macht Hassan gern Spaziergänge und gegen das Heimweh helfe es, von Zuhause zu träumen, sagt Abdighani. „I’m happy I saved me“, sagt er erneut, dann räumt er in dem kleinen Café in der Neustadt zur Verblüffung des Kellners den Tisch ab. Er stelle vor allem hohen Gesprächsbedarf bei den Menschen fest, erzählt Juvente-Chef Becker, ein tiefes Bedürfnis, über Erlebtes zu sprechen. In Mainz sei das Netzwerk stabil, auf das Flüchtlinge sich verlassen können: „Kirchen, Vereine, Ortsgemeinden und kleine Initiativen arbeiten gut zusammen.“ Zu letzteren gehört Save me mit dem Mentorenprogramm „Welcome Mainz“, das Flüchtlinge im Alltag unterstützt und ihnen Anschluss bietet. Auch Hassan, der mit seiner Mentorin gerne spazieren geht. Einmal, erzählt er, fehlten ihm die nötigen Worte, um ihr etwas zu erklären. Daraufhin hat er seine Botschaft in einem Park in den Sand gemalt. Hassan lächelt: „Wenn du willst, alles geht. Ich immer Hoffnung.“ Auch darauf, dass sein Antrag endlich angenommen wird, und er sein Leben hier beginnen darf.

Gut zu wissen: Sie wollen spenden oder sich engagieren?

Die Ehrenamtsbörse informiert unter:
mainzer-ehrenamt.de

Auch Save me & Medinetz Mainz freuen sich über Unterstützung:
www.save-me-mainz.de / www.medinetzmainz.de.

Stadt: Fluechtlingshilfe.mainz.de

Am 21.11. findet ab 18 Uhr ein Konzert der Charlie Crow Band für Flüchtlinge statt: Liebfrauensaal, Franz-Liszt-Str. 1. Eintritt 5 Euro.