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Vorsicht, Falle!

Text: Ejo Eckerle
Foto: Jonas Otte

Nachkriegsarchitektur umzingelt die Kreuzung der Mainzer Altstadt, wo Scharngasse, Heugasse und Gallusgasse aufeinandertreffen. Es gibt schönere Gegenden, um sein Leben zu beenden. Hier verunglückt am 1. April 2010 ein 76-jähriger Radfahrer. Mit tödlichen Folgen. Nichts deutet darauf hin, dass es ausgerechnet an dieser Stelle passieren musste: kein verkehrsumtoster Platz, keine bekannte Rennstrecke. Im Gegenteil, eine recht übersichtliche Kreuzung von ruhigen Seitenstraßen. Vielleicht ist es diese Ungefährlichkeit, die dieser Schauplatz ausstrahlt, die dazu führte, dass der Radfahrer sein inneres Warnsystem in den Standby-Modus geschaltet hat. Rechts vor links, schon klar, aber kommt doch eh nie einer. Diesmal schon. Und diesmal war der Fehler tödlich.
Nicht selten stellen sich Radler ihre Fallen selbst. Etwa wenn todesmutige Pedalisten immer wieder die steile Gaustraße runterbrettern und sich dabei gerne mal in den Straßenbahnschienen verfangen und hinschlagen. Mehrfach hat die Stadt Verbotsschilder aufstellen lassen, kombiniert mit einer putzig gezeichneten Warntafel, die vor Stürzen warnt. Nützt aber nichts. „Wir fahren bestimmt einmal in der Woche dorthin, weil es wieder einen erwischt hat“, berichtet Polizeioberkommissar Jörg Wilson von der Mainzer Polizei. Gemeinsam mit einem Kollegen will er das Problembewusstsein und die Rechtstreue der Radfahrer in der Stadt schärfen. Wie das gehen soll? In den Sommermonaten werden drei Schwerpunktkontrollen durchgeführt. Ausreden, die Polizist Wilson dort nicht mehr hören will: „Das Licht ist gerade erst kaputt gegangen“, „Was, da steht ein Schild? Hab ich gar nicht gesehen!“ oder „Habt ihr nichts Besseres zu tun?“ Für die Aktion gibt es gute Gründe. Allein bis Mai kam es in diesem Jahr schon 106 Unfällen, bei denen Radfahrer beteiligt waren. Sieben wurden dabei schwer verletzt, 82 erlitten leichtere Verletzungen. In 47 Fällen war der Radfahrer schuld am Geschehen.

Radfallen – echt oder nur gefühlt?

Wie gefährlich ist Rad fahren in Mainz wirklich? Wer sich mal als Kurier durch die Straßenschluchten von Manhattan geschlängelt hat oder zur Rushhour durch die Innenstadt von Warschau, wird über diese Frage lächeln. Eine klassische Radfahrerstadt ist Mainz nicht, was an der ungünstigen Topographie liegt. Aber in einer Studentenstadt wie Mainz sind mehr Menschen mit dem Rad unterwegs als in anderen vergleichbar großen Städten. Wer Profis und Experten, wie den Radfahrbeauftragten der Stadt Mainz nach so genannten „Radfallen“ befragt, wird enttäuscht: Er kennt keine. Vielleicht ist der „Radprofi“ einfach routinierter, aufmerksamer, gelassener?
Manchmal ist der Fußgänger der Feind. Der schleicht sich dann an. Einfach so. Im Fall von Lenka Tucek kam der Feind von links und ihr blieb nichts anderes übrig, als in die Bremsen zu steigen. Dem abrupten Stopp folgte ein Sturzflug über den Lenker. Resultat: Schürfungen, Prellungen, Gehirnerschütterung. Die junge Frau musste eine Woche lang das Bett hüten. Die Fahrradfalle, in die die 32-jährige Mainzer Universitätsangestellte geraten ist, war für sie in der Lessingstraße aufgestellt. „Wenn man dort vom Bismarckplatz kommend Richtung Hauptbahnhof fährt, endet der Radweg auf dem Mittelstreifen. Dann muss man entgegen der Fahrtrichtung auf dem Radweg auf der linken Straßenseite entlang und sich gegen blinde (oft angetrunkene) Fußgänger, denen die Bedeutung eines Radwegs wohl nicht klar ist, sowie gegen entgegenkommende Radfahrer zur Wehr setzen.“ Aber Lenka muss auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit noch ganz andere Herausforderungen bewältigen. Tatort: Bruchwegstadion. Eine nach dem Menschenrechtler Martin Luther King benannte Straße führt hier entlang. Verkehrsinseln verengen die Fahrbahn, eine vermeintlich verkehrsberuhigende Baumaßnahme. Bei Lenka Tucek führt sie dazu, dass regelmäßig ihr Blutdruck ansteigt, wenn sie das Nadelöhr passiert: Immer wieder erlebt sie dort unangenehme Begegnungen mit Autofahrern, die meinen, sich noch schnell an ihr vorbeidrücken zu müssen.
Lange Zeit waren neue Parkhäuser wichtiger als der Bau einer Radstrecke. Erst als die Stadt einen Radverkehrsbeauftragten etablierte, wurden die Anliegen der Radfahrer ernst genommen. Bernd Mayer-Zawar ist seit Anfang Mai im Amt. Als erste bundesdeutsche Stadt öffnete Mainz Einbahnstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung. Was heute niemanden mehr stört, führte damals zu heftigen Diskussionen. Ein rasanter Anstieg von Unfällen wurde vorhergesagt. Die befürchteten Massenkarambolagen blieben aus. Also können sich Verkehrsteilnehmer mit etwas gutem Willen und gegenseitiger Rücksichtnahme den Platz teilen, der ihnen zur Verfügung steht? Bernd Mayer-Zawar ist davon überzeugt. Er hat sich viel vorgenommen für sein neues Amt. So will er „mehr Menschen aufs Fahrrad bringen“. Schon jetzt nutzen zwölf Prozent aller Verkehrsteilnehmer die in Mainz täglich unterwegs sind das Rad. „Bei unserer letzten Erhebung aus den 90er Jahren lagen wir noch bei neun Prozent.“ Mayer-Zawar will die vorhandenen Radwege einer Art Inventur unterziehen: Neben ihrem Zustand interessiert ihn vor allem die Frage, ob wirklich alle ausgewiesenen Wege benutzungspflichtig bleiben sollen. „Dort, wo es sicher genug ist, sollte der Radfahrer es sich aussuchen können, ob er den Radweg benutzt oder auf der Straße fährt.“

Nervt: Wege in die Irre

Radwege können ganz spezielle Fallen sein. Dann, wenn sie dir Zeit rauben oder dich ins Abseits schicken. Angenommen du bist, von der Uni kommend, auf der Binger Straße unterwegs. Natürlich fährst du auf dem – ausgewiesenen und damit verpflichtenden – Radweg und zwar auf der richtigen, rechten Seite. Kurz vor dem Alicenplatz möchtest du links in die Alicenstraße einbiegen. Also hältst du brav an der Ampel, wartest, bis sie dir gemeinsam mit den Fußgängern den Weg freigibt. Auf der anderen Seite die nächste Hürde. Eine Bedarfsampel. Den Knopf drücken und ausharren, bis sie dich über die Binger Straße fahren lässt. Das kann dauern. Du hast es vermutlich schon gemerkt, du bist der Depp, der sich gefälligst hinten anzustellen hat. Drüben wirst du auf ein winziges Stückchen Radweg geleitet, dann ist Schluss und du darfst dich endlich auf die Alicestraße einfädeln, natürlich auf eigene Gefahr. Wer sich solche Verkehrswege ausdenkt, hat längst schon vor den Ansprüchen der automobilen Gesellschaft kapituliert.

Kampf dem Langfinger

Es gibt aber auch die klassischen, richtig fiesen Fallen, die selbst ambitionierten Radfahrern das Fürchten lehren. Am Gautor findet sich so eine, direkt an der Einbiegung vom Eisgrubweg. Jörn Lengwenings schreibt uns: „Der Radweg verläuft auf Straßenniveau, der Bürgersteig erhöht. Auf dem Bordstein des Bürgersteigs ist eine weiße Trennlinie gezogen. Vom Fahrrad aus ist durch die Linie der Bordstein nicht richtig erkennbar. Biegt man jetzt rechts ab und schneidet die Kurve etwas liegt man ganz plötzlich lang, weil man den ‚unsichtbaren‘ Bordstein berührt hat.“ Er selbst habe schon unangenehme Bekanntschaft mit dem Asphalt dort gemacht, die Stelle sei bekannt als „die Kurve“.
Der ärgste Feind des Radfahrers ist der gemeine Dieb. 573 Drahtesel wurden letztes Jahr geklaut. Die Aufklärungsquote ist denkbar schlecht: 2009 lag sie bei knapp zehn Prozent. Die Polizei wirbt daher dafür, dass Radler ihren fahrbaren Untersatz registrieren lassen. Dies kann in einer internen Datei des Mainzer Polizeipräsidiums geschehen, noch besser aber ist eine Codierung auf dem Rahmen, die unter anderem der ADFC anbietet. Kleiner Tipp: Wer seine Rahmennummer nicht mehr kennt (oft fehlt sie auf dem Rahmen) sollte im Geschäft nachfragen, wo er das Rad gekauft hat. Häufig ist sie dort noch gespeichert. Polizeibeamter Jörg Wilson ist überzeugt, dass die Registrierung der Räder die Aufklärungsquote erhöhen würde. Vorausgesetzt, der Bürger zeigt den Diebstahl an und hat Interesse daran, dass aufgeklärt wird. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.